#105: Was der Geographieunterricht zur Bildung im 21. Jahrhundert beitragen kann
Sind sich Öffentlichkeit und Verantwortliche im Bildungswesen bewusst, was der Geographieunterricht leisten kann? Wird das Potential des Fachs an allen Mittelschulen bereits ausgenutzt? Wie soll der Geographieunterricht in Zukunft aussehen?
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- Bild:Christian Sailer
Der Workshop «Schulfach Geographie: heute und morgen» musste in den Frühling verschoben werden. Dennoch wollen wir im Rahmen des Jubiläumsblogs ein paar aufgeworfene Fragen anhand von Beispielen aus dem Geographieunterricht beantworten.
Wie und was kann das Schulfach Geographie an den Mittschulen zur Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) beitragen?
Das Fach Geographie ist für die BNE besonders geeignet, da es natur- und sozialwissenschaftliche Kenntnisse und Ansätze vereint und dadurch vertieft die soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit vernetzt behandeln kann. Fast alle «Sustainable Development Goals» der UN betreffen originäre Themen der Geographie. Beispielsweise werden die Ursachen des Klimawandels und seine Folgen (z.B. Meeresspiegelanstieg, Desertifikation oder Permafrostschwund) analysiert und Massnahmen zur Bekämpfung der Ursachen und Folgen diskutiert. Weiter sind Energiefragen zentral: Vor- und Nachteile wichtiger Energieträger werden aus verschiedenen Perspektiven betrachtet.
Auch die Auswirkungen der Globalisierung werden bei der Behandlung der BNE gut sichtbar, so auch bei der Beantwortung der Frage: Weshalb und wie können wir in der Schweiz die Arbeitsbedingungen von Näherinnen und Nähern in Bangladesch beeinflussen?
Der Geographieunterricht fordert zur Bildung einer durch Argumente gestützten eigenen Haltung auf und zeigt Handlungsszenarien auf, um den Schülerinnen und Schülern Perspektiven für eine nachhaltige Zukunft aufzuzeigen, sei es im Themenbereich «Mobilität», «Energieversorgung», «Migration und Flucht» oder «Armut und Hunger». Das Erkennen der Zusammenhänge zwischen all diesen Themen sowie das Denken und Handeln auf unterschiedlichen Massstabsebenen ist eine zentrale Aufgabe des Fachs.
Wie kann der gymnasiale Geographieunterricht Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung aufzeigen und die Schülerinnen und Schüler darauf vorbereiten?
Den Herausforderungen der Digitalisierung soll durch die Einführung des Informatikunterrichts auf allen Schulstufen begegnet werden. Im »Rahmenlehrplan für die Maturitätsschulen: Informatik»vom 27. Oktober 2017 steht: »Der Informatikunterricht vermittelt allgemeine, auf heutige wie zukünftige Anwendungen übertragbare Konzepte, die der automatischen Datenverarbeitung zugrunde liegen. Dazu gehört insbesondere die Darstellung und Verwaltung von Daten, die Automatisierung von Abläufen, die Entwicklung, Beurteilung und Umsetzung algorithmischer Lösungsansätze, die Kommunikation zwischen und mithilfe von digitalen Geräten sowie die Abbildung der realen Welt in digitalen Modellen.» (EDK, 2017, S. 1).
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- Bild: Christian Sailer
Geographieunterricht besitzt das Potential, durch die Arbeit mit geographischen Informationssystemen (GIS) die genannten Kompetenzen an konkreten Beispielen zu fördern. In einem Unterrichtsprojekt von Dr. Thomas Forster, Informatik- und Geographielehrperson der KS Wettingen, erheben Schülerinnen und Schüler die ÖV-Güteklasse von verschiedenen Bus- und Zugstationen in ihrer Wohngemeinde und auf ihrem Schulweg (siehe Forster, 2019). Sie finden hierfür die Art des Verkehrsmittels an der jeweiligen Haltestelle und das Kursintervall mittels des elektronischen Fahrplans sowie die Distanz zur Haltestelle heraus. Mittels dieser Informationen können sie die ÖV-Güteklasse bestimmen und diese raumbezogenen Daten auf einer Karte in ArcGIS darstellen.
Die Schülerinnen und Schüler lernen während dieser Übung, wie man Daten erhebt, in ArcGIS verwaltet, darstellt und bewertet. Sie erfahren «die Abbildung der realen Welt in digitalen Modellen» (EDK, 2017, S. 1) und arbeiten dabei mit ihrer realen Welt: Ihrer Wohngemeinde und ihrem Schulweg. Sie können begründen, ob ihre Gemeinde eine bessere Verkehrsanbindung benötigt oder nicht. Sie können aber auch beurteilen, ob weitere Überbauungen um die analysierten Haltestellen ohne Ausbau der ÖV sinnvoll sind oder nicht.
Aufgrund dieser Übung und aufgrund der erworbenen Kenntnisse im Geographieunterricht zur Raumplanung können sie Überlegungen von Verkehrsplanerinnen und Verkehrsplanern nachvollziehen sowie über themenbezogene politische Initiativen sachkundig diskutieren. Das beschriebene Beispiel zeigt, dass das Fach Geographie schon heute mit der Anwendung von GIS einen praxisorientierten Beitrag zur Informatikbildung leisten und die Chancen der Digitalisierung aufzeigen kann.
Die Geographie ist ein Schulfach von höchster Aktualität und Gesellschaftsrelevanz. Sie kann die jungen Menschen befähigen, sich in einer immer komplexeren Welt zu orientieren und mit einem fundierten Wissen verantwortungsbewusst zu agieren.
Quellen:
- EDK (Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren) (o.A.): Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) (Zugriff: 21.9.2020).
- EDK (2017): Rahmenlehrplan für die Maturitätsschulen: Informatik vom 27. Oktober 2017.
- EDK und SFBI (Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation) (2019): Auslegeordnung zur Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität. Bericht der Steuergruppe im Rahmen des Mandats von EDK und WBF vom 6. September 2018 «Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität: Mandat für eine Auslegeordnung zu den Referenztexten».
- Forster, T. (2019): Unterricht. Unterrichtseinheiten nach Themen. ÖV-Güteklassen (Zugriff: 23.9.2020).
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