#30: Der Landschaft lauschen
Was tragen Geräusche dazu bei, wie Menschen Landschaften wahrnehmen? Mit automatischen Textanalysemethoden versucht Olga Koblet diese Frage zu beantworten.
Olga, worum geht's bei deiner Forschung?
Wir untersuchen, wie wir Textquellen nutzen können, um Informationen über die Landschaft zu gewinnen. Wir wollen wissen, wie Menschen die Geräusche der Landschaft wahrnehmen. Es sind eben nicht nur die Amplitude und die Frequenz eines akustischen Signals entscheidend. Denn beispielsweise erzeugen ein Düsenflugzeug und ein Wasserfall ähnliche Geräusche, aber das eine wird als störend, das andere als schön empfunden.
Warum ist das wichtig?
Die Politik muss wissen, welche Orte für die Menschen wichtig sind, etwa für die Schaffung von Schutzgebieten oder für Bautätigkeiten und die Strassenplanung. Bisher hat man diese Informationen durch Interviews gesammelt. Das ist zeitaufwendig. Unsere Methode jedoch deckt grosse räumliche Bereiche ab. Ausserdem kann sie denjenigen Aussagen Priorität einräumen, die mehrfach vorkommen. Auf diese Weise generiert sie einen echten Mehrwert.
Interessanterweise stiessen wir in diesen Textquellen auf viele überraschende Gegensätze, wie etwa Orte, die als sehr ruhig beschrieben werden, obwohl sie in der Nähe einer Grossstadt liegen. Wenn diese Orte geschützt werden, kann eine grosse Anzahl von Menschen von solchen Oasen der Ruhe profitieren. Ein Beispiel wäre der Uetliberg. So gesehen ist es ein auf den Menschen ausgerichteter Ansatz, den wir verfolgen.
Welche Texte hast du analysiert?
Wir verwenden die Beschreibungen von mehreren Millionen georeferenzierten Bildern, die im Rahmen des Projekts Geograph gesammelt wurden. Für jeden Quadratkilometer Grossbritanniens und Irlands sammelten Freiwillige geografisch repräsentative Fotos und fügten eine Beschreibung dieses Gebietes hinzu. Das ist ein aussergewöhnlicher Datensatz. Wichtig ist, dass der gesamte Inhalt unter Verwendung von Creative-Commons-Lizenzen weitergegeben wird. Wir haben unsere Analyse für das Gebiet der Britischen Inseln durchgeführt.
Wir suchten auch im Internet nach Berichten über Ortsnamen des Lake District, einem Gebiet in Nordwestengland, um einen Textkorpus zu erstellen, der unabhängig von Projekten wie Geograph ist. In der Karte sieht man einige Ergebnisse mit extrahierten Beschreibungen, die sich auf Geräusche, Gerüche und visuelle Wahrnehmung beziehen.
-
- Lake District perception
- Karte des Lake District mit Beschreibungen, die sich auf Klänge, Gerüche und visuelle Wahrnehmung beziehen. Ein Klick auf das Bild führt zu den Beschreibungen.
Was sind deine nächsten Schritte?
Wir möchten unsere Methoden gerne auf Texte aus der Schweiz anwenden. Das bedeutet aber, dass wir nicht nur Texte in Englisch, sondern auch in Französisch, Deutsch und Italienisch analysieren.
Apropos Sprachen: Dein Deutsch ist ausgezeichnet. Wie kam es dazu, dass du aus Russland in die Schweiz gekommen bist?
Ich habe in Moskau Geographie studiert und mich dann für ein Masterstudium an der ETH Zürich in Geomatik mit dem Schwerpunkt Fernerkundung entschieden. Später war ich Teil des Teams, das den Atlas der Schweiz am Institut für Kartographie und Geoinformation der ETH Zürich entwickelte. Das war eine spannende Zeit, da wir viel konzeptionelle Arbeit geleistet haben. Aber irgendwann ging diese Tätigkeit in einen reinen Produktionsmodus über. Das war der Zeitpunkt, als ich mir dachte, es wäre toll, einen PhD zu machen.
Wie bist du zu diesem Thema gekommen?
Am Institut für Kartographie und Geoinformation gab es ein Projekt, in dem Karten der Orte erstellt werden, die in verschiedenen Romanen erwähnt werden. Es heisst Ein Literarischer Atlas Europas. Diese Orte wurden manuell extrahiert. Ich fragte mich, wie gut wohl eine automatische Analyse der Texte funktionieren würde. Dennoch habe ich mich nach vielen Diskussionen entschieden, Texte mit mehr geographischem und praktischem Bezug zu verwenden. So kam ich zu meinem aktuellen Projekt.
Und was interessiert dich neben der Arbeit noch?
Ich lese sehr gerne. Ich habe immer davon geträumt, einen Job zu finden, bei dem ich den ganzen Tag lesen kann. Bevor man mit diesen automatischen Methoden beginnen kann, muss man viele Texte lesen und manuell klassifizieren. Es hätte also nicht besser für mich kommen können!
Ich spiele Geige in einem grossen Symphonieorchester. Das ist ein sehr schönes, aber zeitraubendes Hobby. Und ich mache Orientierungslauf, auch schon als ich in Moskau lebte. Karten sind Teil meines Lebens, seit ich ein Teenager war.
Map of sound descriptions for the territory of British Isles
Geograph British Isles (crowdsourced project)
Koblet, Olga; Purves, Ross S (2020). From online texts to Landscape Character Assessment: Collecting and analysing first-person landscape perception computationally. Landscape and Urban Planning, 197:103757.
Chesnokova, Olga; Taylor, Joanna E; Gregory, Ian N; Purves, Ross S (2019). Hearing the silence: finding the middle ground in the spatial humanities? Extracting and comparing perceived silence and tranquillity in the English Lake District. International Journal of Geographical Information Science, 33(12):2430-2454.
Chesnokova, Olga; Purves, Ross S (2018). From image descriptions to perceived sounds and sources in landscape: Analyzing aural experience through text. Applied Geography, 93:103-111.
Weitere News
- #125: Der 125. und letzte
- #124: Gletscher vor 125 Jahren und heute
- #123: Ist das Navi in der Hand der erste Schritt zum betreuten Wohnen?
- #122: In eine neue Welt katapultiert
- #121: How to make health care service provision more equitable and greener
- #120: Unsere Welt ist eine multidimensionale Collage
- #119: Is Tourism the Beginning or the End? Livelihoods of Georgian Mountain People at Stake
- #118: «Wir müssen den Klimawandel systematisch als Risiko mitdenken»
- #117: Andean mountain regions: Fragile sentinels of landscape and cultural transformation
- #116: Temporary streams at the doorsteps of Irchel Campus
- #115: Schneeflocken vom Weltraum aus zählen
- #114: Provokation und Revolte am GIUZ
- #113: Ambitious goals for biodiversity urgently needed!
- #112: "The Eyes Have It!" - Where we look while navigating
- #111: Investigating plants genetic structure from above
- #110: «I see and I remember. I do and I understand.»
- #109: «Für uns, unsere Kinder und Kindeskinder»
- #108: Was macht die Digitalisierung mit unserer Umwelt?
- #107: The role of a developer at GIUZ
- #106: Dem unterirdischen Wasser auf der Spur
- #105: Was der Geographieunterricht zur Bildung im 21. Jahrhundert beitragen kann
- #104: Nepal - Kein Land für alte Leute?
- #103: Klimawandel in der Schweiz: Alles, was du wissen musst!
- #102: Wie Instagram unseren Umgang mit der Natur verändert
- #101: Numbed by navigation technologies: How can we counteract?
- #100: Das ist der 100. Blogbeitrag
- #99: Investigating food sustainability: from production and trade to consumption
- #98: Geographers live in concert - postponed!
- #97: Global Glyphosate: Uneven Geographies of herbicide production and use
- #96: "Pesticides burned grass and know-how"
- #95: Vier Standorte in 125 Jahren
- #94: Dietikon: Vom Bauerndorf zur Stadt
- #93: What is biodiversity?
- #92: Feldarbeit im ruralen Nepal: Reflektion zu Positionalität, Verantwortung und Rollen
- #91: Das Schulfach Geographie: heute und morgen
- #90: Funktionale Diversität aus dem Weltraum kartieren
- #89: Adieu ewig’ Eis
- #88: Landschaftsleistungen erlebbar machen
- #87: What is the role of variability in nature?
- #86: The Skin of Chitwan
- #85: Animated flight line collection over Switzerland
- #84: Space, Nature & Society: Wo wir forschen und was wir tun
- #83: Do you know about the 3MT competition?
- #82: An academic career in ecology
- #81: Hunderte Studierende verzaubern den Semesterstart an der Uni Zürich
- #80: Wie bewegen wir uns in Zukunft fort?
- #79: Willkommen im GEO- und ESS-Studium!
- #78: Expedition vom Fenster aus: Wie nimmst du deine Umgebung wahr?
- #77: Mitten in der Pandemie eine historische Pandemie untersuchen
- #76: Das Geoteam stellt sich vor
- #75: How roots influence climate change
- #74: Imaging the earth from above
- #73: Studierende sammeln Daten: Natur, Landschaft und Ressourcen
- #72: Trouvaillen aus dem Archiv
- #71: The fluorescence of phytoplankton from 800 km above
- #70: Der kalte Norden ist auch familiär
- #69: How the COVID-19 pandemic is teaching us to tackle the climate crisis
- #68: Studierende sammeln Daten: Migration, Mobilität und Stadt
- #67: Sommerpause!
- #66: On the art of failing forward
- #65: Die Wasserstadt Zürich mit dem Smartphone entdecken
- #64: Auf den Spuren der ersten Schweizer Polarforscher
- #63: Geistreiche Wortspiele
- #62: Von Gemüse über Milch bis zu Kaffee: Solawis in der Deutschschweiz
- #61: Berner Seeland - quo vadis?
- #60: Intense days on the field course to Val Piora
- #59: Panta rhei - alles fliesst
- #58: Comic Strip Geographies
- #57: Where we come from
- #56: A journey through time with loess deposits
- #55: Schlacht am Morgarten 1315: Wie sah die Landschaft damals aus?
- #54: Berne going green
- #53: Biochar increases rice root architecture
- #52: Velo- und Fussverkehr in der Corona-Zeit
- #51: The impact of Covid-19 from an economic geography perspective
- #50: Why do we create virtual forests?
- #49: Wenn das Eis fehlt: Das Lötschental und seine Zukunft
- #48: Wie Skitouren geplant werden: Big Data gibt Einblicke
- #47: Is there a place for people in protected areas?
- #46: Artenvielfalt im Irchelpark
- #45: Cress, tomatoes and the meaning of the universe
- #44: Scientific games to understand social-ecological system dynamics
- #43: Insight into the WGMS
- #42: Connecting female hydrologists worldwide: an initiative born at GIUZ
- #41: Maximilian schickt dich einkaufen
- #40: Sars-CoV-2 and food producers: who cares?
- #39: The value of water
- #38: Mit Slimy-Masse die Gletscherschmelze illustrieren
- #37: Was machen Geographinnen und Geographen nach dem Studium?
- #36: Geographie-Student Jonathan, der Erdball und die CO2-Männli
- #35: Zwei Studiengänge am Geographischen Institut
- #34: Urban Sustainability as New Financial Fix?
- #33: Stillschweigend im Verborgenen
- #32: Interaktiv und interdisziplinär
- #31: Unpacking the complexity of social-ecological systems
- #29: Synergien zwischen Homeschooling und Hochschullehre schaffen
- #28: The first fully remote PhD defenses
- #27: Der Weltwassertag fällt ins Wasser
- #26: Die GIUZ Sustainability Task Force
- #25: Was ist Geographie?
- #24: «Geografe nüme schlafe!»
- #23: Auf dem Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft
- #22: Spatial genetics for plant-based communities - and much more!
- #21: Strebergärtli - Irchel Garden Project
- #20: Writing papers - a nightmare. Or not?
- #19: Urbanisierte Landschaften - Leben zwischen Natur und Zivilisation
- #18: Atmende Wälder in 3D
- #17: «Wir sind hier, wir sind laut!»
- #16: Was ist EGEA?
- #15: Exploring the future of biodiversity
- #14: Lawinenbulletins in den Alpen: Konsistenz über die Landesgrenzen hinweg
- #13: Ein Kaffee aus der Eiszeit
- #12: Grönland 1912 - und heute!
- #11: «Wir sitzen alle im selben Boot»
- #10: Monitoring und Reduktion von Flugreisen am GIUZ
- #9: Der Verein Geographie Alumni UZH: Ein Forum für alle Geographieinteressierten
- #8: Wissen in Bildern - Informationsdesign heute
- #7: Geographie in Aufruhr
- #6: Gletschermessreihen mit Mayonnaise
- #5: Landkarten im Reduit
- #4: Die Plastiksuppe kartieren
- #3: Neue Abteilung «Space, Nature and Society»
- #2: Wie alles begann
- #1: Alles Gute zum 125. Geburtstag