Header

Suche

Angst vor dem Bagger

Die Wohnungssuche in Zürich ist für viele zum Albtraum geworden. Extrem tiefe Leerstandsquoten, Massenkündigungen und steigende Baukosten verschärfen die Lage. Forschende des Geographischen Instituts gehen der Krise auf den Grund und werfen einen Blick nach Genf. 

Stadt Zürich

Fühlen Sie sich zu wenig gestresst? Dann suchen Sie mal mit einem durchschnittlichen Einkommen eine Wohnung in Zürich. Auf den Immobilienplattformen werden Vierzimmerwohnungen für 4000 Franken Monatsmiete angeboten. Bilder von endlosen Warteschlangen bei Wohnungsbesichtigungen haben es auch in internationale Medien geschafft. «Ja, das ist eine Krise», sagt Frances Brill, Senior Scientist am Geographischen Institut der UZH. Dafür stehen zwei zentrale Faktoren: die extrem niedrige Leerstandsquote und die hohe «Displaceability» – also die Gefahr der Verdrängung.

Am 1. Juni 2025 standen in Zürich gerade einmal 0,1 Prozent aller Wohnungen leer. Zum Vergleich: London liegt bei rund 4 Prozent, San Francisco bei 6 Prozent. Zwar werden Wohnungen oft nahtlos weitervermietet, ohne je leerzustehen. Doch das ändert nichts am Missverhältnis: Die Nachfrage übersteigt das Angebot deutlich. «Viele Menschen sind dadurch regelrecht in ihren Wohnungen gefangen», erklärt Brill. Wenn sich die Lebensumstände ändern, etwa durch Familienzuwachs oder Trennung, wird es fast unmöglich, eine passende Wohnung zu finden. Gleichzeitig zeigt sich in Brills Forschung, dass Fehlallokationen den Markt zusätzlich belasten: Ältere Paare bleiben in grossen Wohnungen, weil ein Umzug in kleinere Einheiten oft teurer wäre.

Kündigung als Dauerstress

Besonders stark prägt ein weiteres Phänomen den Zürcher Wohnungsmarkt: Kündigungen wegen Sanierungen oder Abrissen. «Diese Zahl ist in Zürich aussergewöhnlich hoch – im Vergleich zu anderen Schweizer Städten, aber auch international», sagt Brill. Basel kenne das Problem ebenfalls, doch weniger stark ausgeprägt, in Genf wachse es zusehends. Die Folge: Viele Mietende leben in ständiger Angst, ihr Zuhause zu verlieren. Das erzeugt Stress.

Die Zahl der Kündigungen wegen Sanierungen oder Abrissen ist in Zürich aussergewöhnlich hoch – im Vergleich zu anderen Schweizer Städten, aber auch international.

Frances Brill
Senior Scientist am Geographischen Institut

Verstärkt wird dieser Trend in der Limmatstadt durch den hohen Anteil institutioneller Investoren wie Pensionskassen oder Versicherungsgesellschaften. «Zürich weist hier eine längere Geschichte auf als andere Städte – ein erheblicher Teil des Markts befindet sich in den Händen grosser Eigentümer», sagt Brill. Kommt es zu Abriss- oder Umbauplänen, können diese Eigentümer Massenkündigungen leichter durchsetzen.

Während in Ländern mit kleinteiligeren Eigentumsstrukturen wie Grossbritannien oder den USA eher einkommensschwache Gruppen betroffen sind, trifft es in Zürich Menschen aus fast allen sozialen Schichten. Für die Investoren ist es meist attraktiver, Gebäude abzureissen und durch Neubauten mit höheren Mieten zu ersetzen. Sie begründen Neubauten häufig mit den veränderten Ansprüchen, die Grundrisse von Altbauwohnungen entsprächen nicht mehr den Bedürfnissen. «Dieser Trend verstärkt jedoch die Verdrängung», erklärt Brill, die der Wohnungskrise im Rahmen des Forschungsprojekts «Responsible City» auf den Grund geht, an dem vier Schweizer Universitäten beteiligt sind (siehe Kasten unten).

Responsible City: Städte in der Verantwortung

Am SNF-Forschungsprojekt «Responsible City» sind vier Schweizer Universitäten beteiligt: die Universität Zürich, die EPFL, die ETH Zürich und die Universität Neuenburg. Ziel ist es, die Stadtlandschaften der Schweiz besser zu verstehen und zu erforschen, wie Städte auf sozioökologische Konflikte reagieren, etwa den Klimawandel oder Finanzkrisen.

Im Fokus stehen Fallstudien in Genf und Zürich. «Die beiden Städte zeigen beispielhaft, wie aktuelle Entwicklungen zu Auseinandersetzungen über die gerechte Produktion und Verteilung von Wohnraum führen – also darüber, wie gebaut und renoviert werden kann, ohne Klima und städtische Gemeinschaften zu belasten», erklärt Geografin Frances Brill.

Das Projekt untersucht, wie verschiedene Akteur:innen – von Planer:innen über Bewohner:innen und Politiker:innen bis hin zu Eigentümer:innen – auf diese Konflikte reagieren. In einem Teilprojekt analysiert Frances Brill insbesondere die Rolle des privaten Sektors mit Blick auf institutionelle Investoren und deren Verhalten in der Wohnungskrise.

Responsible City

Auch ökologische Argumente werden für Abrissprojekte ins Feld geführt: Neubauten seien energieeffizienter. «Die CO2-Bilanz eines Abrisses ist aber häufig negativ», hält Brill fest. «Das relativiert die Vorteile neuer Isolierungen oder moderner Heizsysteme.» Mehr Forschung zu anderen Vorgehensweisen sei nötig. Eine Alternative bietet der Holzbau, da verdichtetes Bauen mit Holz kostengünstig und ökologisch ist. Eine spezielle Hypothek für Holzbauten könnte finanzielle Anreize schaffen: Damit würde der Bau von Häusern gefördert, der weniger CO2 verursacht und es zugleich langfristig speichert.

Wege aus dem Dilemma

Im Rahmen von «Responsible City» analysieren die Forschenden, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Zürich und Genf bestehen und was die beiden Städte punkto Wohnen voneinander lernen könnten. Die Umweltfrage wird zum Beispiel an der Rhone anders diskutiert als an der Limmat: «In Zürich geht es vor allem um ökologische Bauweisen, während in Genf die Biodiversität und der Zugang zu Grünflächen die Debatte dominieren», sagt Brill.

Auch die räumlichen Voraussetzungen unterscheiden sich: In Zürich findet sich kaum noch Boden, der bebaut werden könnte. In Genf hingegen bestanden zumindest bis vor Kurzem noch Baulandreserven und ehemalige Industriezonen, auf denen Wohnungen gebaut werden konnten. Nun wird der Boden allerdings auch knapper und der Abriss von Gebäuden zwecks Neubau häufiger – die Zürcher Vorgehensweise verbreitet sich also auch in der Romandie. «Wir wissen aber, dass dies kein sozialer Ansatz für Stadtplanung ist», sagt Brill. Einfache Lösungen gibt es allerdings nicht. «Die klassische liberale Antwort auf die tiefe Leerstandsquote wäre, mehr zu bauen», sagt Brill. «Aber so einfach ist das nicht: Bauland ist rar, die Baukosten sind gestiegen, und bei Neubauten entstehen nicht zwingend erschwingliche Wohnungen.»

Andere Städte haben Instrumente entwickelt, um die Mietenden zu schützen. In Genf gilt seit 1983 das LDTR-Gesetz, das Kündigungen bei Renovationen erschwert und Mieter:innen ermöglicht, nach Umbauten zu erschwinglichen Bedingungen zurückzukehren. Auch strengere Vorgaben für Mietsteigerungen oder eine Anbindung neuer Mieten an historische Entwicklungen könnten für mehr Fairness sorgen. Am Ende läuft vieles auf eine Grundsatzfrage hinaus: Wie fair sind die Lösungen, die wir für die Wohnungskrise finden? Brill bringt es auf den Punkt: «Wohnen ist ein Menschenrecht. Deshalb müssen wir jede Massnahme daran messen, wem sie nützt – und wem sie schadet.»

UZH News, 10.11.2025

Dieser Artikel erschien im UZH Magazin 3/25, Seite 42

Titelbild: Am 1. Juni 2025 standen in Zürich gerade einmal 0,1 Prozent aller Wohnungen leer. (Bild: iStock.com/halbergman) 

Carole Scheidegger, Redaktorin UZH News

Unterseiten