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Geographisches Institut

#120: Unsere Welt ist eine multidimensionale Collage

Wie erlebst du die Welt um dich herum? Und wie kannst du das in Worte fassen? In meinem PhD Projekt sammle ich Beschreibungen, wie Menschen die Landschaft wahrnehmen - und das mit einem ganz neuen, spielerischen Ansatz. Bist du auch dabei?

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Bild: Flickr / pbev (CC BY-NC-ND 2.0)

Unsere Welt ist eine multidimensionale Collage aus Menschen, Wahrnehmungen und Orten, die im Gewebe der Zeit eingenäht sind. Die Fäden verbinden sich zu Empfindungen, Eindrücken und Vorstellungen. Wie wir die Welt und insbesondere die (un)endliche Vielfalt ihrer Landschaften erleben, hat einen direkten Einfluss auf unser geistiges und körperliches Wohlbefinden. Jede*r von uns nimmt die Welt auf sehr unterschiedliche Weise wahr und drückt dies auch ganz individuell aus. Geprägt sind wir dabei von unserer Kultur, unseren Vorlieben und der Geographie.

Grosse praktische und wissenschaftliche Bedeutung

Dass wir analysieren und verstehen, wie Menschen eine Landschaft wahrnehmen, ist von grosser praktischer Bedeutung, beispielsweise für politische Entscheidungs­träger*innen, wenn es um den Schutz und die Verwaltung von Landschaften geht. Und auch für die Wissenschaft ist es wichtig, zu verstehen, was wir in der Umwelt wahrnehmen und wie das unser Verhalten beeinflusst.

«Alle hassen den Hochnebel, den ich von meinem Fenster beobachten kann. Der graue Topfdeckel, der Schild zwischen der Sonne und uns, er trägt viele Namen. Aber mir gefällt er. Der graue Hochnebel und die etwas hellere Oberfläche des Sees ergänzen sich ganz gut und wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass Hochnebel und Seeoberfläche am Rande des Sichtfeldes ineinander übergehen. Ich sehe quasi nur einen Ausschnitt der Welt, umrahmt von grauem Wasser in verschiedenen Aggregatszuständen. Wenn man die Augen ein wenig zusammendrückt, hat man ein wunderschönes Gemälde in den Farben blau, grau, grün und weiss vor sich, das in der Luft zu schweben scheint wie das Hallelujah Gebirge aus Aufbruch nach Pandora. Und das ganz ohne Sonne.»

Herbst in der Schweiz heisst Hochnebel. Jedoch, sehen alle den Hochnebel gleich? Würdest du ihn auch so beschreiben? Lies diesen Beitrag hier.

Ein ganz neuer, spielerischer Ansatz

Herkömmliche Methoden, um solche Daten zu sammeln, sind umständlich, zeitaufwendig, teuer. Und es ist schwierig, sie über Raum und Zeit zu skalieren. Crowdsourcing bietet hier einzigartige Möglichkeiten. Für mein PhD Projekt habe ich die Web-Applikation «Window Expeditions» entwickelt. Dort können alle Interessierten beschreiben, wie sie ihre Umwelt und die Landschaft wahrnehmen. Auch du bist herzlich dazu eingeladen! Deine Texte kannst du mit Freunden teilen, und du kannst jene von anderen Nutzer*innen durchstöbern. Was und wie du schreibst, liegt ganz bei dir. So entstehen sehr vielfältige Schilderungen, wie Menschen die Welt erleben.

Mein Ziel ist es, einen mehrsprachigen Korpus von Landschaftsbeschreibungen zu erstellen. Und zwar mit Beschreibungen vom Fenster, vom Zuhause aus - besonders in dieser Zeit der Pandemie -  als auch von unterwegs aus. Ich werde diese Beschreibungen für meine Forschung nutzen. Und ich hoffe, dass sich dadurch das durch Quarantäne und Isolation verursachte Gefühl der Enge auf eine spielerische Art etwas mildern lässt.

«Mein Blick geht hinaus in unseren kleinen Garten, der hinter dem Haus liegt. Es gibt 4 Bäume und einige Pflanzen im Beet und in den Töpfen, die überall verteilt sind und auf den Winter warten. Weil es spät im Herbst ist, sind die schon Blätter alle von den Bäumen gefallen. Aber jetzt kommt's: unsere Zierkirsche blüht! Mitten im kalten grauen Herbst gibt es zarte rosarote Blütenpuschel am ganzen Baum. Die rosa Erika, die neben einem Plastikflamingo wächst, passt wunderbar in das Farbkonzept. Im kleinen Apfelbaum hängt unserer Vogelfutter. Dort versammeln sich grad 5 Stieglitze (Distelfinken). Ihre roten Köpfchen sind kleine Akzente zwischen den Zweigen, und die gelben Flügelfedern leuchten wie Lichter an diesem grauen Novembertag. Jetzt hat sich auch noch die putzige Kohlmeise eingefunden und hüpft lustig durch die Äste.»

Herbst heisst nicht überall Hochnebel. Manchmal gibt es kleine Wunder der Natur im eigenen Garten zu entdecken. Wo ist dieser Garten? Lies diesen Beitrag hier.

Wie die Wurzeln eines globalen digitalen Baums

Diese und viele weitere Beschreibungen, die wir bisher gesammelt haben, geben uns Einblick, wie Landschaften wahrgenommen werden. Schon jetzt haben Texte aus der ganzen Welt ihren Weg zu unserem Server in Zürich gefunden, ähnlich wie die Wurzeln eines globalen digitalen Baums. Hier am Geographischen Institut werden diese einzelnen Wurzeln zusammengeführt, verglichen, zerlegt, analysiert und schliesslich wieder zusammengefügt. Die einzelnen Landschaftsbeschreibungen werden neu angeordnet und kombiniert. So entsteht der Stamm des Forschungsbaums, der sich nach und nach zu Clustern ähnlicher Wahrnehmungen verzweigt. 

Ich würde mich freuen, wenn auch du eine Beschreibung des Blicks aus deinem Fenster hinzufügst.
Window Expeditions

Manuel Bär

Weiterführende Informationen