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Hitzeforschung und -politik: Eine integrative Perspektive ist dringend notwendig

2023 war weltweit das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Die letzten Jahre waren zudem von mehreren extremen Hitzewellen geprägt, die zu massiven Gesundheitsrisiken und erhöhter Sterblichkeit führten. Die Anpassung an den Klimawandel steht nun neben dem Klimaschutz ganz oben auf der globalen politischen Agenda. Für vorausschauende, evidenzbasierte Entscheidungen müsse die Forschung eine integrative Perspektive einnehmen, fordert ein kürzlich in The Lancet Planetary Health veröffentlichter Artikel. Die Autor:innen skizzieren sechs Bausteine für einen stärker integrativen Forschungsansatz.

Hitzewelle in einer Stadt (Bild: DALL-E-2)

Die Auswirkungen steigender Temperaturen auf die menschliche Gesundheit sind umfassend untersucht worden, doch meist werden die Risiken isoliert betrachtet. Die schwerwiegendsten Effekte treten jedoch häufig dann auf, wenn die Hitze mit hoher Luftfeuchtigkeit oder Luftverschmutzung kombiniert ist. Modellierungsansätze für Hitze und Gesundheit müssen daher weitere Komponenten einbeziehen (> Prognose der hitzebedingten Gesundheitsrisiken).

Zahlreiche Optionen zur Anpassung an extreme Hitze wurden bereits identifiziert, geplant oder sogar umgesetzt, darunter technische, soziale, verhaltensbezogene und wirtschaftliche Massnahmen. Ein Beispiel sind Investitionen in städtische Grünflächen, die den städtischen Wärmeinseleffekt verringern (> Möglichkeiten der Anpassung).

Genauso wichtig ist es jedoch zu analysieren, ob diese Massnahmen auch die gewünschte Wirkung erzielen. Sind sie kurz- oder langfristig wirksam? Welche Bevölkerungsgruppen profitieren am meisten? Welche Hindernisse gibt es, z.B. hohe wirtschaftliche Kosten, politische Widerstände oder Platzmangel? (> Machbarkeit und Wirksamkeit der Anpassung).

Die sechs Bausteine für einen stärker integrativen Forschungsansatz

Prognose der hitzebedingten Gesundheitsrisiken
Möglichkeiten der Anpassung
Durchführbarkeit und Wirksamkeit der Anpassung
Synergien, Zielkonflikte und Zusatznutzen der Anpassung 
Anpassungsgrenzen und Restrisiken
Wege der Anpassung

 

Haben einige Optionen positive oder negative Auswirkungen an anderer Stelle oder könnten sie sich im Laufe der Zeit als ungeeignet erweisen? Städtische Grünflächen reduzieren nicht nur den Wärmeinseleffekt, sondern verbessern beispielsweise auch die psychische Gesundheit oder bieten Möglichkeiten zur Speicherung von Regenwasser. Gleichzeitig können sie aber auch Reservoire für neue Infektionskrankheiten bilden oder teures Land für die Stadtentwicklung beanspruchen (> Synergien, Zielkonflikte und Zusatznutzen der Anpassung).

Viele Anpassungsoptionen können das Risiko nur bis zu einem bestimmten Grad reduzieren. Beispielsweise gibt es physiologische Grenzen, inwieweit der menschliche Körper Stoffwechselwärme effektiv abführen kann. Die kühlende Wirkung von Stadtbegrünung reicht möglicherweise nicht aus, um die Temperaturen in Städten auf einem Niveau zu halten, das die menschliche Gesundheit schützt (> Anpassungsgrenzen und Restrisiken). «Wie viel Restrisiko die Gesellschaft zu akzeptieren bereit ist und was Priorität hat, ist oft eine politische Entscheidung», sagt Veruska Muccione, Erstautorin der Studie.  

Schliesslich müssen wir den Mix und die Reihenfolge der Optionen verstehen und bewerten. In manchen Kontexten sind schrittweise Anpassungen bestehender Praktiken erforderlich, in anderen sind systemische Veränderungen notwendig. Lösungsraumdiagramme können helfen, eine Reihe von Möglichkeiten und erwünschten Zukünften zu entwerfen und zu evaluieren (> Anpassungspfade).

Der Lösungsraum verändert sich mit zunehmender globaler Erwärmung

Mit zunehmender globaler Erwärmung wird der Spielraum für verhaltensorientierte Massnahmen kleiner (Teil A der Abbildung). Dies gilt für Städte in Südeuropa und Südostasien, wo bereits ein Grossteil der Anpassung und Risikominderung durch technische und verhaltensbezogene Massnahmen erfolgt ist. In den Regionen Nord- und Mitteleuropas hingegen führen neue, häufigere und intensivere Hitzeextreme zu einem verstärkten Hitzebewusstsein und können Möglichkeiten für finanzielle und gesellschaftliche Unterstützung schaffen. Mit fortschreitender Erwärmung wird jedoch die Wirksamkeit von Anpassungsmaßnahmen abnehmen. Physiologische Grenzen können erreicht werden, wodurch sich der Handlungsspielraum insgesamt verringert (Teil B der Abbildung).

«Wir brauchen dringend Projekte, die die verschiedenen Bausteine kombinieren und eine wirklich integrative Perspektive einnehmen», sagt Veruska Muccione. «Und es muss uns klar sein, dass trotz eines besseren Verständnisses des Problems die Umsetzung nicht einfach ist.»

Literatur

Veruska Muccione, Robbert Biesbroek, Sherilee Harper, Marjolijn Haasnoot: Towards a more integrated research framework for heat-related health risks and adaptation
The Lancet Planetary Health, Volume 8, Issue 1, 2024, Pages e61-e67,
https://doi.org/10.1016/S2542-5196(23)00254-1

Bild: DALL-E-2

Magdalena Seebauer

Weiterführende Informationen

Kontakt

Veruska Muccione, Dr.
Senior scientist
Environment and Climate

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