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Geographisches Institut

Ein paar Ergänzungen zur Aufarbeitung der Geschichte des GIUZ

Andreas Kleiner, Geografie-Student 1978-84

Mit grossem Interesse habe ich eure verdienstvolle Arbeit gelesen, denn ich hatte genau in dieser Zeit studiert. So ist es spannend, sich dieser Zeit im Rückblick noch einmal aus anderer Perspektive anzunähern. ...Und ich merke, wie weit das alles eigentlich zurück liegt, dass ich bereits ein Teil von Geschichte bin. Leider hatte ich es verpasst, im März an eurer Veranstaltung teilzunehmen - zu stark war ich da mit anderen Aufgaben und Projekten belastet. Ich lasse euch aber jetzt doch noch ein paar Erinnerungen aus meiner damals kritischen Haltung zukommen. 

Ich möchte das im Bericht entstandene Bild mit meiner damals als Mitstudent kritischen Sicht auf diese Bewegung etwas differenzieren. Ich will aber die Verdienste der damaligen Bewegung für die Geografie damit grundsätzlich nicht in Frage stellen! Vielleicht sind meine Bemerkungen aber durchaus etwas markant, um das Bild etwas farbiger zu machen. Sie sind aber auf keinen Fall persönlich gegen meine damaligen Kollegen gerichtet. Ich bewundere beispielsweise den Weg, den Richard Wolff mit dem gesellschaftlich relevanten Thema Stadtgeografie konsequent bis zum Amt als Stadtrat beschritten hat. Ausserdem ist es auf keinen Fall als Kritik an eurer Arbeit gemeint, im Gegenteil! Ich danke euch dafür!

Die politische Ausrichtung der Bewegung war in jugendlichem Engagement teils sehr einseitig weit links positioniert - so wird ja auch das ausgeprägte Interesse am Marxismus im Bericht erwähnt. Dabei trafen die Betreffenden auf politisch klar rechts stehende Dozenten... Die Exponentinnen und Exponenten waren allerdings ein Ausschnitt aus einer vielfältigen Studentenschaft, von denen sich viele mit den teils politisch radikalen Positionen nicht identifizieren konnten.

Ich betrachtete die "kritische" Einstellung dieser Studierenden damals selber aus meiner Sicht in gewisser Hinsicht kritisch. Es war eine kritische Bewegung, ja, aber eben politisch sehr einseitig im damaligen kalten Krieg positioniert. So erschien beispielsweise in der Zeitschrift Geoscope damals eine kritische Karikatur über die NATO - im am linken Rand aufgetauchten Stil unter der Gürtellinie, der später rechts von der SVP übernommen und "salonfähig" gemacht wurde -, während dieselben Leute sich anderseits an einem Dozenten störten, der die Sowjetunion kritisch behandelte.

Die bewusstere Theorie-Orientierung war sicher ein wissenschaftlicher Fortschritt. Allerdings was für Theorien? Etwas prägnant würde ich heute teils eher sagen Ideologie-Orientierung: Es ging auch um eine Orientierung an marxistischen Theorien und Ideologie. (Nur eine Beobachtung am Rand: Als auch kritisch denkender Student störte ich mich damals an einem marxistischen Dozenten an der Uni, der unkritisch über Lenins zwar gute Imperialismus-Theorie dozierte, während die perfekte Umsetzung der eigenen Theorie durch Lenin mit der kolonialen Beherrschung und Ausbeutung von Ländern wie Usbekistan natürlich kein Thema war - mich als Geograf aber gerade interessierte). Sehr konstruktiv war in meinen Augen Herbert Wanner, der sich unideologisch-wissenschaftlich mit Theorie in der Geografie befasste (wovon ich dann persönlich für meine Diplomarbeit profitieren konnte).

Das Filmprojekt der Bewegung löste bei mir damals Verständnislosigkeit aus - vielleicht hatte ich das nicht richtig verstanden - aber mir erschien das überspitzt gesagt, wie sich als Forschungsobjekt selber zu studieren. Das biss sich aus meiner Sicht in den Schwanz und erschien mir als Sprachrohr, die eigenen politischen Anliegen zu propagieren. Dies, etwas salopp, meine damalige Einschätzung, aus heutiger Sicht müsste ich natürlich erst die betreffenden Arbeiten lesen. (Die 80er Bewegung im Allgemeinen - ich halte aber fest, das betrifft nicht unsere Geografinnen und Geografen! - erlebte ich damals durch bewusste Gesprächsverweigerung und in meinen Augen das Gegenteil von Wissenschaftlichkeit, ich erinnere mich beispielsweise an ein Podiumsgespräch der Ethnologie als Plattform, um unterschiedliche Positionen zu diskutieren, das gleich zu Beginn mit dem Megaphon gesprengt und beendet wurde.)

Das Bild der damaligen Länderkunde-Geografie ist vor allem bezüglich Humangeografie grundsätzlich richtig, aber wohl etwas überzeichnet. Schon damals empfand ich die Länderkundevorlesungen eher als Beimischung - in meiner dazu auch kritischen, aber nicht ablehnenden persönlichen Sicht waren das spannende "Hobby"-Veranstaltungen (teils eher von angehenden Sekundarlehrpersonen besucht, wo attraktiv, aber auch mit breitem Andrang) -, während zentrale Veranstaltungen sich um Wirtschaftsgeografie, Klimatologie, Fernerkundung etc. drehten. Dieser Veränderungsprozess war "evolutionär" bereits im Gange.

Ich kann die damalige Institutsleitung übers Ganze gesehen nicht einfach nur als rückständig-konservativ beurteilen. Mit der Berufung von Kurt Brassel aus den USA für GIS durch den damaligen Institutsleiter in einer Zeit, als das in Europa noch ein Fremdwort war, war es geradezu pionierhaft, die spätere Bedeutung von GIS damals schon vorauszuahnen und in der Schweiz zu positionieren.

(Etwa Kleines am Rande, weil es im Bericht erwähnt wird, das mich später weiter beschäftigt hatte: Der Begriff der "Landschaft" als etwas Ganzes wurde nun als unwissenschaftlich verschrien. Dass das Thema in Deutschland offenbar vom Nationalsozialismus vereinnahmt worden war, hatte ich damals nicht mitgekriegt (und war wohl auch dem oder den Dozenten nicht bewusst, die beileibe nichts mit Nationalsozialismus am Hut hatten). Durch meine kulturellen Interessen, Erfahrungen und Überlegungen hat sich die Diskussion aber später in meinem Kopf wieder fortgesetzt, und ich fand später, dass sogar etwas ausserordentlich Berechtigtes im Verständnis einer Landschaft als etwas Ganzes lag. Klar, eine "Landschaft" ist nicht mit mathematischen Methoden mess- und definierbar, aber einerseits erfahrbar und anderseits ökologisch als Naturlandschaften klar als Ökosysteme begründet, und Kulturlandschaften unter Übertragung ökologischer Gesetze als gewachsene, ausgewogene Kulturlandschaftssysteme ebenso zu begründen und von Bedeutung für traditionelle menschliche Lebensqualitäten und für die Geschichte.)

31. Dezember 2020