Alpen in 100 Jahren ohne Gletscher?

 

 

University of Zurich, unicom, American Geophysical Union

Joint Release

 

Zürich, 10. Juli 2006

Steigen die Sommertemperaturen um 3 Grad Celsius, verlieren die Gletscher in den Europäischen Alpen 80 Prozent ihrer Eisfläche. Bei einer Erwärmung um 5 Grad Celsius würden die Alpen praktisch eisfrei werden. Diese Auswirkungen der Klimaszenarien für das Ende des 21. Jahrhunderts haben Forscher der Universität Zürich in einem Modellexperiment nachgewiesen. Die Studie erscheint am 15. Juli 2006 in der Zeitschrift «Geophysical Research Letters».

Die Gletscher der europäischen Alpen haben seit 1850 die Hälfte ihrer Fläche verloren. Wie sich die Klimaveränderungen auf die Alpine Vergletscherung in den nächsten hundert Jahren auswirken könnten, hat Michael Zemp vom Geografischen Institut der Universität Zürich untersucht. Aus seinen Modellierungsexperimenten resultiert, dass ein Anstieg der Sommertemperatur (April bis September) um 3 Grad die Alpine Gletscherbedeckung der Referenzperiode (1971–1990) um ungefähr 80 Prozent reduzieren würde. Dies entspricht noch ca. 10 Prozent der Gletscherausdehnung um das Jahr 1850. Im Falle eines Anstieges der Sommertemperatur um 5 Grad würden die Alpen praktisch eisfrei werden.

Ein Anstieg der Sommertemperatur von +1 bis +5 Grad und eine Niederschlagsänderung von -20 bis +30 Prozent für das Ende des 21. Jahrhunderts ist gemäss dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ein realistisches Szenario. Das IPCC wurde 1988 von der Welt-Meteorologie Organisation (WMO) und dem Umwelt-Programm der Vereinten Nationen (UNEP) gegründet. Für eine Kompensation des Anstieges der mittleren Sommertemperatur um +1 Grad bräuchte es eine Zunahme des jährlichen Niederschlages von etwa +25 Prozent.

«Unsere Studie zeigt, dass unter solchen Szenarien die Mehrheit der Alpengletscher in den nächsten Jahrzehnten verschwinden könnte», sagt Michael Zemp von der Universität Zürich. Bei einem Anstieg der Sommertemperatur von mehr als 3 Grad würden nur die grössten Gletscher wie zum Beispiel der Grosse Aletschgletscher und jene in den höchsten Regionen der Alpen bis ins 22. Jahrhundert bestehen bleiben. «Gerade in den dicht besiedelten Gebirgsregionen wie den Europäischen Alpen müsste man sich deshalb Gedanken machen zu den Folgen eines extremen Gletscherschwundes auf den hydrologischen Kreislauf, auf die Wasserwirtschaft, den Tourismus und Naturgefahren», so der Glaziologe Zemp.

Hintergrundinformationen:

Gletscher zählen durch ihre physikalische Nähe zum Schmelzpunkt zu den besten natürlichen Klimaindikatoren und sind ein Schlüsselelement im internationalen Monitoring des Klimawandels. Am Geographischen Institut der Universität Zürich wurden im Rahmen eines EU-finanzierten Forschungsprojektes die Gletscherveränderungen in den Europäischen Alpen nach 1850 untersucht.

Ein komplettes Inventar der Alpengletscher kann für die 1970er Jahre zusammengestellt werden, als ca. 5'150 Alpengletscher eine Fläche von 2'909 km2 bedeckten. Der gesamte Flächenverlust der Alpinen Eisbedeckung seit 1850 beläuft sich auf etwa 35 Prozent bis in die 1970er Jahre und auf fast 50 Prozent bis im Jahre 2000.

Rapide schwindende Gletscherflächen, spektakuläre Rückzüge der Gletscherzungen und zunehmende Massenverluste sind klare Zeichen der atmosphärischen Erwärmung in den Alpen während den vergangenen 150 Jahren und deren Beschleunigung in den letzten zwei Jahrzehnten, die in einem Verlust von weiteren 5–10 Prozent des verbleibenden Eisvolumens im ausserordentlich warmen Jahr 2003 gipfelte.


Bemerkungen für Journalisten

Journalisten (ausschliesslich) können auf Anfrage eine pdf-Kopie von diesem Paper bekommen. Bitte senden Sie dazu Name, Name der Publikation, Telephon und Emailadresse an Jonathan Lifland: jlifland@agu.org. Das Paper und diese Medieninformation unterstehen keiner Sperrfrist.

Titel:
“Alpine glaciers to disappear within decades?”

Autoren:

Michael Zemp, Wilfried Haeberli, Martin Hoelzle, Frank Paul: Glaciology and Geomorphodynamics Group, Department of Geography, University of Zurich, Zurich, Switzerland.

Referenz:
Zemp, M., W. Haeberli, M. Hoelzle, and F. Paul (2006), Alpine glaciers to disappear within decades?, Geophys. Res. Lett., 33, L13504, doi:10.1029/2006GL026319.

Kontaktinformation Autoren:

Michael Zemp: +41-44-635 51 39 or mzemp@geo.unizh.ch

Wilfried Haeberli: +41-44-635 51 20 or haeberli@geo.unizh.ch

Martin Hoelzle: hoelzle@geo.unizh.ch

Frank Paul: fpaul@geo.unizh.ch

Diese Medieninformation ist in Englisch verfügbar: http://www.geo.unizh.ch/~mzemp/press/pressrelease_zemp_en.htm

 

Ergänzende Figuren:

Nicht alle 5 ergänzenden Figuren sind Teil des GRL Papers.

Fig. 1: Alpine Gletscherflächen um 1850, 1975 und 2000. Von 1850 bis in die 1970er-Jahre haben die Alpengletscher insgesamt 35% ihrer Fläche verloren. Im Jahr 2000 war nur noch etwa die Hälfte der Alpinen Eisfläche von 1850 vorhanden. Dies entspricht einer Schwundrate von knapp 3% pro Jahrzehnt zwischen 1850 und 1975 und von fast 9% pro Jahrzehnt zwischen 1975 und 2000.

Fig. 2: Perspektivische Schrägansicht des Rhonegletschers mit den historischen Gletscherständen und den modellierten Akkumulationsgebieten für die Referenzperiode (1971–1990) und für ein Klimaszenario. Die perspektivische Schrägansicht wurde mit einem digitalen Höhenmodel (SRTM3) erzeugt und mit einer Satellitenaufnahme (SPOT-2, HRV pan) vom 17. September 1992 überlagert. Die Gletscherstände von 1850 (weiss) und von 1973 (rot) sind als Gletscherumrisse dargestellt. Das modellierte klimatische Akkumulationsgebiet (cAA) der Referenzperiode (1971–90; rot) ist überlagert mit dem modellierten klimatischen Akkumulationsgebiet (blau) für ein Klimaszenario mit 3 °C wärmeren Sommertemperaturen und 10% mehr Jahresniederschlag im Bezug auf die Referenzperiode. Als Folge wird sich die Zunge des Rhonegletschers (welche durch den Eisfluss aus dem Akkumulationsgebiet genährt wird) stark zurückziehen.

Fig. 3: Modellierte Alpenvergletscherung (klimatisches Akkumulationsgebiet) unter Annahme eines Anstieges der Sommertemperatur um +1 bis +5 °C und/oder einer Änderungen des Jahresniederschlages. Das Total von 100% entspricht der Vergletscherung der Referenzperiode (1971–90). Die punktierte Linie entspricht reinen Temperaturänderungen, während die anderen Linien kombinierte Temperatur- und Niederschlagsänderungen darstellen. Lesebeispiel: Bei einem Anstieg der Sommertemperatur von 3 °C und einer Zunahme des Jahresniederschlages um 10% reduziert sich die Alpine Vergletscherung auf 27% der Eisfläche der Referenzperiode (1971–90).

Fig. 4: Modellierter Rückgang der Vergletscherung (klimatisches Akkumulationsgebiet) der Alpenländer unter Annahme eines Anstieges der Sommertemperatur um +1 bis +5 °C. Das Total von 100% entspricht der Vergletscherung der Referenzperiode (1971–90). Die 100%-Marken der Linien für die einzelnen Alpenländern beziehen sich auf den Anteil des entsprechenden Alpenlandes an der Gesamtvergletscherung. Lesebeispiel: Bei einem Anstieg der Sommertemperatur von 3 °C reduziert sich die Alpine Vergletscherung (rote Kurve) auf ca. 20% der Eisfläche der Referenzperiode (1971–90). Die Restvergletscherung der Schweiz (blaue, gestrichelte Kurve) liegt für dieses Szenario bei knapp 30%, während in Österreich (schwarze, gestrichelte Kurve) nur noch ca. 7% der Eisfläche der Referenzperiode übrig bleiben.

Fig. 5: Modellierter Rückgang der Vergletscherung (klimatisches Akkumulationsgebiet) der Schweiz unter Annahme eines Anstieges der Sommertemperatur um +1 bis +5 °C. Das Total von 100% entspricht der Vergletscherung der Referenzperiode (1971–90). Die 100%-Marken der Linien für die einzelnen Kantone beziehen sich auf den Anteil des entsprechenden Kantons an der Schweizer Vergletscherung.

 

last update: 10.07.2006